ProSOS

ProSOS - Portal fuer Sicherheit, Rettung und Schutz

 

Verlaufsbericht:

"100 Jahre Weimarer Republik - 80 Jahre Reichspogromnacht"

Vortragsabend der Polizeiinspektion Hameln-Pyrmont/Holzminden zur Rolle der Polizei in Demokratie und Diktatur

ID: 2016204

(ots) -
Anlässlich des 100. Jahrestages der Gründung der Weimarer Republik
und des 60. Jahrestages der Reichspogromnacht fand im Münster Hameln
eine Gedenk- und Vortragsveranstaltung auf Einladung der Polizei und
weiterer Gruppen/Organisationen statt. Mit gut 150 Personen quer
durch alle Altersgruppen und Institutionen war das Hamelner Münster
ein gut besuchter, außergewöhnlicher Veranstaltungsort. Politiker,
Schüler, Feuerwehrleute, Polizisten, Vertreter verschiedener
Verwaltungen, Senioren und auch polizeikritisch eingestellten
Menschen waren erschienen. Sie konnten sich in gut zwei Stunden ein
Bild von den gesellschaftlichen Zusammenhängen in den
unterschiedlichsten Facetten unserer Geschichte machen. Ein
Schwerpunkt bildete dabei die Geschichte und Rolle der Polizei.

Nachfolgend Auszüge aus den Redebeiträgen:

Begrüßung, Superintendent Phillip Meyer: "Was Menschen anderen
Menschen angetan haben, in diesem Land, vor gar nicht langer Zeit, 80
Jahre, ein Menschenleben, wir wollen uns erinnern." Der Hass, die
Gewalt die spürbar geworden sind zeige, dass hier der Ursprung für
die späteren Verbrechen gelegen hat. Weil Menschen, die vorher
unbescholten in ihrer Gesellschaft gewirkt haben, plötzlich selbst zu
Tätern wurden. Weil sie plötzlich ihren Impulsen freien Lauf ließen.
Synagogen anzündeten, weil sie Menschen schlugen, folterten und
ermordeten. Menschen, denen man das nicht vorher angesehen hat und
denen man es nicht zugetraut hätte. Es gibt heute wieder Tendenzen,
den Hass auf andere Menschen salonfähig zu machen. Es ist ganz
wichtig, dass wir uns davon abwenden, dass wir entschieden sagen:
"Nein, das darf nicht sein!" Darauf kommt es an, dass wir uns wehren,
dass wir nein sagen, dass wir aufstehen gegen Gewalt und Verachtung.
Wenn der heutige Abend beitragen kann, dass das möglich wird, dann




ist dieser Abend ein Erfolg.

Auszüge aus dem Grußwort des Schirmherrn der Veranstaltung,
Carsten Rose:

Geschichtserforschung und Erinnerung habe in der Polizei einen
besonderen Stellenwert, welches die organisatorische Anbindung des
Polizeimuseums Niedersachsen an die Polizeiakademie unterstreiche.
"Wir führen mit unseren Polizeistudenten und /-innen einen kritischen
Diskurs über Beteiligung, Rolle und Funktion der Polizei im
Nationalsozialismus neu jetzt auch neu in der Zeit der Weimarer
Republik. Mit der Ausstellung "Freunde, Helfer, Straßenkämpfer - Die
Polizei in der Weimarer Republik" wird die Aufbauleistung und
Transformation hin zu einer demokratischeren Polizei in der ersten
deutschen Republik untersucht." Der Leiter der Polizeiakademie
Niedersachsen, dem die Verantwortung für die Ausbildung der heutigen
Polizistinnen und Polizisten obliegt, umriss die Ansprüche, die an
heutige Polizeibeamte gestellt werden. Das wissenschaftliche Studium
in der Polizei bedeute auch Relativität von Wissen, Kritik statt
Dogma. Die Studierenden würden zu handelnden Beamten qualifiziert,
die verantwortungsvoll, rechtlich richtig, taktisch einwandfrei,
sozial angemessen und auf der Basis einer ethischen und moralischen
Entscheidungskompetenz für unsere freiheitliche demokratische
Grundordnung eintreten sollen. "Wer ein guter Polizist sein will,
muss Menschen mögen! Bürgernah und bürgerfreundlich, das ist unsere
Prämisse. Unser wichtigstes und bestes Führungs- und Einsatzmittel
ist das Wort, ist die Kommunikation. Es liegt im besonderen Interesse
der niedersächsischen Polizei, durch Offenheit, Dialogbereitschaft
und Transparenz Vertrauen in unser Handeln und die Akzeptanz für
unsere Maßnahmen zu erreichen." Carsten Rose betonte aber auch, dass
die Studenten genauso lernen, in Einsatzsituationen, als
entscheidende Stärken, Durchsetzungskraft und Robustheit zu zeigen.
Man verstecke sich nicht, sondern trete ein für Demokratie, Freiheit,
Gerechtigkeit und Sicherheit. Einzig der Polizei obliege das
Gewaltmonopol, keiner sog. Bürgerwehr, keinem hetzenden Mob auf der
Straße.

Vortrag von Dr. Dirk Götting, Polizeiakademie Niedersachsen. Die
Polizei zwischen Reform und Holocaust und das Scheitern der Weimarer
Republik.

In einer knappen Stunde erläuterte der niedersächsische
Polizeihistoriker Dr. Götting die Zusammenhänge von Kaiserreich und
Weimarer Republik sowie die nachfolgenden Ereignisse bis zum Ende des
Zweiten Weltkrieges. Zunächst gab es einen politischen Überblick über
Zusammenhänge und Veränderungen, weg von der Monarchie, hin zur
maximal freiheitlichen ersten deutschen Republik. Was das heute oft
gebrauchte Schlagwort von den "Weimarer Verhältnissen" tatsächlich
bedeutet, wurde sehr anschaulich erklärt.

Als nächstes erläuterte Dr. Götting den Wandel in der Polizei vom
Kaiserreich zur Demokratie, von einer autoritären, eher
bürgerfeindlichen/obrigkeitsorientierten Polizei, hin zum "Freund und
Helfer". So nämlich lautete das neue Image der Polizei in der
Weimarer Republik. Die inneren Reformen gingen oftmals von den
einfachen Wachtmeistern aus und mussten gegengenüber vielen im
militärischen Hierarchiedenken verkrusteten Führungsoffizieren
durchgekämpft werden. Die Instrumente dazu gab die Republik. Es
wurden unabhängige Gewerkschaften zugelassen und -wohl einmalig in
Europa - mit den Beamtenausschüssen die heutigen Personalvertretungen
institutionell als Mitbestimmungsgremien eingerichtet. Innerhalb
kürzester Zeit ergaben sich so enorme Veränderungen im Berufsbild und
auch in den Ausbildungsansprüchen einer Republikpolizei. Ab 1930
begann, so Dr. Götting, die Demokratiedämmerung der 1. Republik. Mit
dem Kabinett der Barone 1932 gab es keine parlamentarische
Legitimität der Reichsregierung mehr. Die Erosion der Republik begann
in den Ländern. Braunschweig war eines der ersten Länder, in denen
die Nationalsozialisten legal an die Macht kamen. Damit bekamen sie
über das Innenministerium Zugriff auf die Polizei. Es wurde die
Blaupause für eine Machtübernahme gelegt. Hier wurde geübt, wie man
eine republikanische Polizei zu einer nationalsozialistischen Polizei
formt. 1932 setzte sich die Krise immer weiter fort. Im Mai wählte
jeder zweite wahlberechtigte Oldenburger die Nazis. Götting erklärte
anschaulich die Mechanismen, die die Nationalsozialisten benutzten,
die Polizei zu übernehmen. Er beschrieb das Schicksal von
Einzelpersonen in der Polizei, bis hin zu den Massenzahlen der
Ermordungen im Zweiten Weltkrieg im Rahmen des so genannten
"Bandenkampfes". Was das bedeutete, wurde im Detail in Zahlen und
Statistiken erfasst. Nach Göttings Meinung hatten "99% der Opfer der
Nationalsozialisten absolut nichts getan, außer dass sie zur falschen
Zeit am falschen Ort waren". Der Umgang mit so einer Geschichte ist
für die Polizei absolut nicht einfach. Dass mittlerweile die
NS-Vergangenheit als "Vogelschiss" in der erfolgreichen deutschen
Geschichte dargestellt wird, regte den Historiker sichtlich auf. Für
die Polizei sei die NS-Zeit und ihre eigene Geschichte kein
"Vogelschiss", sondern eher ein Trauma, so Götting weiter. Doch wie
soll man als Institution Polizei mit so einem Trauma umgehen?
Verdrängen, wie lange Zeit praktiziert, sei nicht der Weg zur
Bewältigung. Götting betonte, dass wir als Polizei uns dieser
Geschichte stellen müssen. Objektiv und offen damit umzugehen
versuchen. Dazu gehöre auch, dass man sich hinter die Opfer stelle.
Was, so fragte Götting, wolle man eigentlich, wenn man eine
erinnerungspolitische Wende um 180 Grad verlange? Wolle man wieder
Sedanfeiern abhalten? Des Sieges über Frankreich 1940 gedenken? Oder
gar Helden und Krieger ehren? Dr. Dirk Göttings Vortrag endete mit
einem Zitat und einer Aufforderung: "Die Weimarer Republik ist
letztlich nicht daran gescheitert, dass zu früh zu viele Nazis,
sondern dass zu lange zu wenige Demokraten vorhanden waren." Richard
von Weizsäcker "Das heißt, wenn uns dieser Staat, wenn uns die
freiheitliche Demokratie wichtig ist, dann müssen wir dazu stehen.
Dann müssen wir Gesicht zeigen, und ich würde Sie bitten, dazu zu
stehen."

Bernhard Gelderblom Hameln zwischen den Jahren 1918 und 1938
"1918, Hameln war eine 20.000 Einwohner Stadt, damals mehrheitlich
konservativ. Eine Beamtenstadt, eine Garnisonsstadt. So blieb es auch
in der Weimarer Zeit. Die Veränderungen durch die Novemberrevolution
hatten in Hameln keinerlei Auswirkungen. Die obersten
Verwaltungsbeamten blieben dieselben. Unruhen gab es in Hameln nicht.
Aus Sorge darüber, dass die Umwälzungen in Berlin, Kiel und anderswo
Folgen für Hameln haben könnten, gründete der Rat 1919 gegen die
Stimmen der SPD eine Bürgerwehr." Mit diesen Sätzen begann der
Hamelner Historiker Bernhard Gelderblom seinen Einblick in die
historischen Ereignisse der Weimarer Republik aus lokaler Sicht. In
den dann folgenden 30 Minuten entwickelte sich ein detailreicher
Einblick im Handeln und Wirken der Polizei wie auch anderer Akteure
in der Stadt. Anhand vieler konkreter Beispiele, von Straßenkämpfen
wie auch politischen Verwicklungen, Anklagen und Wegsehen wurde die
Zeit verständlich. Gelderblom beschrieb Schicksale von Opfern wie
das Handeln von Tätern und bringt allgemeine Daten und Fakten zur
Polizeistärke und Ausrüstung aus den Archiven ans Tageslicht.
Bedrückend die Schilderungen des Mitlaufens der Meisten. Neu aber
auch, dass zumindest zwei Polizeibeamte von den Nationalsozialisten
nach ihrer Machtübernahme entlassen wurden. Die von Bernhard
Gelderblom zusammengetragenen Informationen bieten Ansatzpunkte für
eine Vielzahl von Recherchen. So verblüfft z.B. die Ablösung des
Hamelner Polizeichefs noch im Januar 1932, als dessen Beamte aufgrund
eines übelst hetzerischen Flugblattes der Nationalsozialisten nicht
handelte. Die Polizei bekommt mit Walter Tuthast eine neue Führung,
der bis dahin eine deutliche Distanz zur NSDAP gezeigt hatte. Was aus
dem Polizeioberwachtmeister Döhring, dessen Schicksal es war, in
Schutzhaft genommen zu werden, damit er nicht als Leiche endet, ist
derzeit noch nicht bekannt. Polizeihauptwachtmeister Hage wurde
sofort vom Dienst beurlaubt. Tragisch auch das Schicksal des Friseurs
Fritz Jahn. Der Vater von vier Kindern war tot in der Hamelner
Schleuse aufgefunden worden. Das ehemaliger SPD Mitglied wurde
vermutlich von SA Männern in einen Hinterhalt gelockt und ermordet.
Für Fritz Jahn wurde in Hameln ein Stolperstein zur Erinnerung
gesetzt.

Dankes- und Schlussworte der Leiterin Einsatz der
Polizeiinspektion, Maren Jäschke

"Nur wer die Vergangenheit kennt und sich mit ihr
auseinandersetzt, kann daraus lernen für Gegenwart und Zukunft."
Polizeioberrätin Maren Jäschke sprach in Vertretung für den
Inspektionsleiter Ralf Leopold das Schlusswort mit dem ausdrücklichen
Dank an alle Referenten und unterstützenden Organisationen. Besonders
wichtig war ihr der Dank an die Münstergemeinde, die die
Veranstaltung an dieser historischen und würdevollen Stätte
ermöglicht hatte. Die Zuhörer lud sie zum Gespräch mit den
Vortragenden ein. Als Kollekte am Ausgang würde zu Spenden für die
ev. Jugendarbeit im Weserbergland aufgerufen.

Ausrichter/Einladende waren die Polizeiinspektion Hameln-Pyrmont /
Holzminden gemeinsam mit der Münstergemeinde Hameln, der Gewerkschaft
der Polizei (GdP), dem Verein für Regional Kultur- und Zeitgeschichte
Hameln e.V., sowie dem Förderkreis für Polizeigeschichte
Niedersachsen e.V.




Rückfragen bitte an:

Polizeiinspektion Hameln-Pyrmont/Holzminden
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Stephanie Heineking-Kutschera
Telefon: 05151/933-104
E-Mail: pressestelle(at)pi-hm.polizei.niedersachsen.de
http://www.pd-goe.polizei-nds.de/dienststellen/pi_hameln_pyrmont_holz
minden/

Original-Content von: Polizeiinspektion Hameln-Pyrmont/Holzminden, übermittelt durch news aktuell


Themen in diesem Fachartikel:


Unternehmensinformation / Kurzprofil:
drucken  als PDF  an Freund senden   Innenminister Caffier ernennt Polizeidirektor Peter Mainka zum Polizeipräsidenten Rostock  Nienburg-Wieder falsche Polizeibeamte am Telefon
Bereitgestellt von Benutzer: ots
Datum: 12.11.2018 - 14:30 Uhr
Sprache: Deutsch
News-ID 2016204
Anzahl Zeichen: 0

Kontakt-Informationen:
Ansprechpartner: POL-HM
Stadt:

Hameln



Kategorie:

Polizeimeldungen



Dieser Fachartikel wurde bisher 0 mal aufgerufen.


Der Fachartikel mit dem Titel:
" Verlaufsbericht:

"100 Jahre Weimarer Republik - 80 Jahre Reichspogromnacht"

Vortragsabend der Polizeiinspektion Hameln-Pyrmont/Holzminden zur Rolle der Polizei in Demokratie und Diktatur
"
steht unter der journalistisch-redaktionellen Verantwortung von

Polizeiinspektion Hameln-Pyrmont/Holzminden (Nachricht senden)

Beachten Sie bitte die weiteren Informationen zum Haftungsauschluß (gemäß TMG - TeleMedianGesetz) und dem Datenschutz (gemäß der DSGVO).

Schokolade im Wert von ca. 2200 Euro gestohlen ...

In Hameln hatte es drei Täter gestern Nachmittag auf Schokolade abgesehen. Am Montagnachmittag wurde der Polizei in Hameln mitgeteilt, dass zwei männliche Personen mit einen "überfüllten" Einkaufswagen mit Süßigkeiten den Einkaufsmar ...

Trunkenheit im Verkehr / Fahren ohne Fahrerlaubnis ...

Eine 71jährige Frau aus Bad Pyrmont befuhr am 24.07.2020, gegen 17:30 Uhr, in Holzhausen mit einem Opel Corsa die Brüderstraße in Richtung Am Bruche. Einer dort zufällig eingesetzten Funkstreifenbesatzung war bekannt, dass die Frau nicht mehr im ...

Alle Meldungen von Polizeiinspektion Hameln-Pyrmont/Holzminden